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Der Preis.

Reisen will gelernt sein. Und kann mitunter auch ganz schön teuer werden. Aber im 21. Jahrhundert reist der Freiwillige von Welt ohnehin nicht mehr. Er lässt reisen.


Am Wochenende habe ich einmal mehr bewiesen, dass ich ein vorbildlicher 24/7-Volunteer bin. Von Freitagmorgen bis Sonntagabend habe ich somit meine Kollegen aus dem Tukumer Tourismus-Büro auf der Internationalen Tourismusausstellung 'Balttours' unterstützt - auch wenn ich aufgrund der Sprachbarriere (die ich wahrscheinlich nie durchbrechen werde) keine große Hilfe war. Dafür hatte ich umso mehr Zeit, mehr über die anderen lettischen Städte zu erfahren, ein bisschen Kind zu spielen und mich am Stand von Indonesien das gesamte Wochenende über mit Kaffee (angeblich direkt von Bali) einzudecken - und so mein Überleben zu sichern.




Dennoch weiß ich nicht so ganz, was ich dem Spektakel halten soll. Die verschiedenen Regionen bzw. Städte Lettlands zeigten sich von ihrer besten Seite und versuchten um jeden Preis, vor allem die wenigen internationalen Gäste vom Strandurlaub in Jurmala oder Städtetrip nach Liepaja zu überzeugen, während in der internationalen Halle die überwiegend lettischen Besucher versuchten, sich die besten Schnäppchen zu angeln. Eine Woche all inclusive im kroatischen Nirgendwo, 350€. Vier Tage Aktivurlaub in der Slowakei mit eigener Anreise, 170€. Die Kreditkarten werden gezückt, auch wenn viele Menschen sicherlich nicht einmal wissen, wo die Slowakei überhaupt liegt.


Natürlich steht es mir nicht zu, über diese Art des Tourismus zu urteilen. Auch wenn ich offiziell kein Gehalt habe, muss ich mir dank des Taschengeldes meiner Organisation und deutschen Kindergeldes keine finanziellen Sorgen machen und habe die Möglichkeit, meinen teilweise (zu) ausschweifenden Hipsterreisestil ausleben. Die Grenzen scheinen nur von administrativer Natur zu sein.


Ich weiß, dass mir viele Menschen jetzt (verständlicherweise) eine gewisse Arroganz unterstellen werden. Selbstverständlich übertreibe ich. Selbstverständlich schwimme ich nicht im Geld. Selbstverständlich haben nicht alle Letten weniger Geld zur Verfügung. Und dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack als mir eine Lettin stolz von ihrem gerade ergatterten Schnäppchen erzählt: Zwei Wochen in einem kleinen Ort auf Sizilien für die ganze Familie mit eigener Anreise, 639€/Halbpension. Ich gratuliere ihr stolz zu diesem Triumph und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn ich freue mich ehrlich für sie. Bei dieser lettischen Kälte kann man wirklich nur in den Süden flüchten. Als sie mir dann aber auch anvertraut, dass sie für diese Reise ihre private Krankenversicherung für sich und ihren Mann gekündigt hat und inständig hofft, in diesem Jahr nicht krank zu werden, bleibt mir das Lächeln im Halse stecken. Und mir fehlen die Worte.


Als ich letztes Jahr in Frankreich gearbeitet habe, haben sich viele Freiwillige ein Tattoo stechen lassen: 'Wanderlust'. Lange habe ich überlegt, mir ein ähnliches Tattoo stechen lassen; warum nicht den Globus, ein Flugzeug oder eben diesen Schriftzug ? Aber ich hatte Respekt vor den Schmerzen, war mir nicht sicher, ob ich diesen Preis zahlen möchte.


Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass mir trotz aller Tattoos der Welt dieses Wort nie so tief unter die Haut gegangen wäre, wie es es an diesem Sonntagnachmittag tat.

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